27. Mai 2021
Edna Epelbaum: Ich bin quasi im Kino zur Welt gekommen und somit bereits sehr früh mit dem Medium Film im Kino zusammengewachsen. Unsere Familienwohnung war oberhalb des Kino Rex in Biel. Bereits als Kind hatte ich in der Projektionskabine meinen kleinen Schemel und habe viel Zeit dort zugebracht. Das Kino und somit der Film gehören an den Familientisch. Mein Grossvater hat in den 30-Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Kinogeschäft angefangen. Meine Eltern haben dies dann übernommen und expandiert und ich habe mich 2006 entschieden, diese Leidenschaft zum Film auch zu meinem Beruf zu machen. 2010 habe ich das Familienunternehmen übernommen und auf 27 Säle expandiert.
«Zufrieden» ist ein schwieriges Wort in dieser Krise. Ich freue mich, dass wir endlich die Kinos wieder öffnen durften – die Durststrecke war sehr lang. Nicht nur ich habe das Kinoerlebnis vermisst, mit mir auch viele leidenschaftliche KinogängerInnen. Aus psychologischer Sicht ziehe ich daher eine positive Bilanz des ersten Monats. Die Freude in den Gesichtern zu sehen, den Applaus im Saal nach einem Familienfilm zu hören, das Interesse an den Begegnungen mit Filmeschaffenden zu spüren – das macht unseren Beruf aus und dafür haben wir unter anderem alle seit März 2020 gekämpft. Zufrieden können wir aber noch nicht sein. Denn wir stecken nach wie vor in der Krise. Das Ende des Tunnels ist zwar in Sicht, jedoch noch nicht erreicht. Die sanitären Massnahmen sind nach wie vor sehr streng und es ist nach wie vor noch nicht rentabel unter diesen Umständen zu arbeiten. Hier sind wir weiterhin auf Unterstützung des Bundes und der Kantone angewiesen. Als KMU-Besitzerin und leidenschaftliche Verfechterin unserer Branche bin ich überzeugt, dass wir auch diese Krise überwinden werden. Jedoch ist von allen Seiten noch etwas Geduld gefragt, bis wir wieder vollends zufrieden sein können und dürfen.
Das Kino gibt es bereits seit über 125 Jahren. Immer wieder hat sich die Branche entwickelt, Synergien mit anderen Medien gesucht, Krisen überwunden. Streaming ist heutzutage in aller Munde, so wie das Fernseher in den 50-ern Jahren in aller Munde war. Das bewegte Bild lässt sich auf verschiedene Arten und Weisen konsumieren und das ist auch gut so. Für mich ist die Hauptsachen, DASS bewegte Bilder konsumiert und genossen werden. Synergien sind immer wertvoll. So auch Synergien zu Streamingplattformen, resp. zum Streaming-Konsum. Es gibt immer mehr Content, also Filme, die ihr Publikum finden müssen. Nicht alle Filme werden im Kino Platz haben und von KinobetreiberInnen programmiert werden können. Nicht alle Filme finden in einem Verleihprogramm ihren Platz. Und so müssen andere Formen gesucht werden. Das ist auch gut so. Streaming ist also nicht unser Feind Nummer 1, wie das viele immer gerne hören wollen. Im Gegenteil. Streaming gehört zu unserer Realität und dies auch nicht erst seit gestern.
Was würden Sie wohl sagen, wenn ich mit Nein antworten würde? Diese Frage ist so alt wie das Kino selbst. Strukturelle Krisen und Endzeitmutmassungen gehören zum Kino. Und doch ist das Ende noch nie eingetroffen und wird auch nie eintreffen. Das Kino entwickelt sich und mit jeder Krise entstehen neue Inhalte, neue Technologien, neue Synergien. Was durch all die Jahrzehnte geblieben ist und weiterhin bleibt ist das einzigartige Gefühl, Geschichten mit Menschen teilen zu können, zu lachen, zu weinen, zu reflektieren. Das ist Kino und genau deshalb wird das Kino – trotz allen sich immer wiederholenden Endzeitankündigen – überleben.
Diese Frage ist für mich als Kinobetreiberin und Programmatorin nicht möglich zu beantworten. Ich liebe die Diversität im filmischen Angebot. Mein Lieblingsort ist das Kino und das Gefühl, in eine Geschichte eintauchen zu können. Ich schaue jeden Film mit mehreren Antennen. Z.B. die Antenne «Publikum»: Wird der Film das Publikum anziehen und für welches Publikum ist er gemacht? Oder die Antenne «Event»: Kann dieser Film eine spannende Diskussion auslösen und können interessante Events geplant werden. Oder der Antenne «Mutter»: Wird dieser Film meinen Töchtern gefallen? Oder schlicht und einfach mit der Antenne «Edna»: Schafft es der Film, mich zu bewegen? Je mehr Antennen mitschwingen beim Sehen eines Filmes, desto höher liegt er auf meiner Lieblingsskala.
Edna Epelbaum
CEO Cinepel SA, Cinemont SA, Cinevital AG, Quinnie Ltd und Präsidentin des Schweizerischen Kinoverbands SKV/ACS